Shada und Ferdows

  Shada und Ferdows sind zwei Mädchen aus dem Jemen, die das Schicksal an Hüftluxationen zu erkranken, ereilte. Dabei handelt es sich um eine angeborene Erkrankung, bei der aufgrund einer Hüftfehlform der Hüftkopf aus der Hüftpfanne gleitet und im Laufe des Lebens nach oben Richtung Beckenkamm wandert. Die Gelenkkapsel wird dadurch stark ausgeleiert und es bildet sich eine Art Kapselschlauch, in dem Bewegungen des Oberschenkels stattfinden. Die Betroffenen können sich nur watschelnd fortbewegen, man spricht vom typischen sogenannten Watschelgang. Ab einem gewissen Alter ist Gehen nicht mehr möglich. Während sich bei einem normalen Hüftgelenk beide Gelenkpartner im Laufe der Entwicklung gegenseitig formen, der Hüftkopf vertieft die Hüftpfanne und nimmt dabei eine kugelige Form an, entwickeln sich hier beide Gelenkpartner unabhängig voneinander. Die Hüftpfanne bleibt flach und der Hüftkopf verformt sich durch Reibung an den Beckenschaufel. Dieses Krankheitsbild wird in Deutschland nicht mehr gesehen. Bereits beim Neugeborenen wird durch Hüftultraschall im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen (U2) eine Hüftfehlform (Hüftdsyplasie)  erkannt und mittels Abspreizbehandlung (z.B. durch Abspreizhose) therapiert. Die Abspreizung zentriert den Hüftkopf in der Hüftpfanne und beide Gelenkpartner formen sich gegenseitig zu einem normalen Hüftgelenk. Für Shada und Ferdows war eine solche Behandlung zu spät; ihre Hüftköpfe waren bereits aus den Hüftpfannen geglitten und sie konnten sich nur noch watschelnd fortbewegen. Für beide blieb nur sich aufwendigen Operationen zu unterziehen.  

 

Als Anfang 2005 Dr. Johannes, damals Assistenzarzt in der Orthopädischen Abteilung des St. Elisabeth – Krankenhaus Rodalben, Chefarzt Dr. Schläfer fragte, ob es möglich sei, Kinder aus Krisengebieten in Rodalben zu behandeln, konnte niemand das Ausmaß erahnen. Der Kontakt zum Hammer Forum, einer humanitären Hilfsorganisation für Kinder in Krisengebieten dieser Erde, welche medizinische Hilfe vor Ort organisiert und schwere Fälle nach Deutschland zur kostenfreien Behandlung vermittelt, war schnell hergestellt. Verbrennungen, nicht verheilte Knochenbrüche, schwere Infektionen, Verstümmelungen etc. sind an der Tagesordnung, Hüftfehlformen (Hüftdysplasien) schon um einiges seltener. Dr. Schläfer willigte in die Behandlung eines Kindes mit Hüftdysplasie ein. Hüftdysplasien sind ein gängiges orthopädisches Krankheitsbild und werden regelmäßig in Rodalben behandelt.  So kamen im April 2005 die 3 ½ jährige Shada und 7 ½ jährige Ferdows nach Rodalben in die Orthopädie mit der Diagnose ´Hüftdysplasie beidseits´. Die dort angefertigten Röntgenaufnahmen zeigten das wahre Ausmaß – hohe Hüftluxationen beidseits. Dr. Schläfer und sein Team stellten sich der großen Herausforderung. Nach entsprechenden Vorbereitungen des Eingriffs, den man in Deutschland nur noch aus den Lehrbüchern kennt, wurde ein Samstag als Operationstag festgelegt. Ein großes Team aus freiwillig und unentgeltlich arbeitenden Orthopäden, Anästhesisten und OP-Personal standen an diesem Tag bereit. In zwei jeweils 4 ½ stündigen Eingriffen wurde jeweils eine Hüfte operiert; dabei wurde das Becken durchtrennt, eine neue Hüftpfanne geformt, der Hüftkopf eingestellt, die Gelenkkapsel verkürzt und plastisch genäht, Muskelsehnen verkürzt und verlängert. Das Operationsergebnis wurde durch Ruhigstellung im Abspreizgips gesichert. Wochen danach folgte die jeweils andere Hüfte.

Die Hüften blieben über Monate in der Abspreizstellung, zunächst im Gips und später durch spezielle Abspreizorthesen, mit denen der Grad der Abspreizung verändert werden konnte. Im Anschluss wurden die neuen Gelenke stufenweise mobilisiert. Tägliche krankengymnastische Übungen, auch im Bewegungsbad, über Monate waren obligat, bevor mit den ersten Gehversuchen begonnen werden konnte. Die Mädchen waren die meiste Zeit auf fremde Hilfe angewiesen, konnten sich über viele Monate nicht alleine fortbewegen. Ein Buggy oder Rollstuhl waren ständiger Wegbegleiter. Viel Freude bereiteten die ersten eigenen Fortbewegungsmittel: Rutscherautos.

 

Es brauchte einige Zeit bis die beiden süßen jemenitischen Mädchen den Kulturschock Deutschland, das Krankenhaus und die Operationen verkraftet hatten. Die anfänglich so verschlossenen Kinder tauten durch die viele liebevolle Fürsorge des Pflegepersonals und Freiwilligen außerhalb der Klinik immer mehr auf. Sie lernten schnell die deutsche Sprache, (besser: Rodalberisch) und wurden fester Bestandteil der Station O2. Ihr Zimmer (2.45) war gefüllt mit unzähligen Kuscheltieren und Spielen. Bald schon waren Shada und Ferdows bei jedem im Krankenhaus bekannt, bei vielen Patienten und über Zeitungsartikel bei vielen im Landkreis. Ein Spendenkonto und ein Benefiz-Fußballtunier (mit Traditionsmannschaften des 1.FC Kaiserslautern, FK Pirmasens, einer Auswahl namhafter Politiker und dem Team der Orthopädie) brachten über 4000Euro ein, Geld, das ausschließlich Shada und Ferdows zugute kommt. Regelmäßige Telefonate nach Hause in den Jemen waren möglich, Ferdows nutze es regelmäßig, Shada hatte die Arabische Sprache völlig vergessen oder verdrängt.

Um den beiden ihren Aufenthalt in Deutschland und ihr Dasein im Krankenhaus so erträglich wie möglich zu machen und ihnen auch ein Stück deutsche Kultur zu zeigen, wurden sie ab und an aus dem Krankenhaus für kleinere Ausflüge ´entführt´. Eisdiele, Zoo und Schwimmbad lernten sie so kennen, den St. Martinsumzug haben sie an der Straße vor dem Krankenhaus erlebt, der Nikolaus kam zu ihnen ins Zimmer, Weihnachten verbrachten sie bei Familie Schläfer, Silvester durften sie wach bleiben und Feuerwerk gucken, Fastnacht wurden sie verkleidet, den Osterhasen, der die Ostereier bringt, haben sie aber auch nicht gesehen.

 

Nach elf Monaten Krankenhaus, am 04.März 2006, hieß es Abschied nehmen. Ferdows freute sich auf ihre Familie, sie hatte in der Zwischenzeit ein Schwesterchen bekommen – Shada war Angst vor dem Ungewissen anzumerken, die Erinnerung an ihre Familie und den Jemen war deutlich verblasst. Keinem ist der Abschied leicht gefallen. Besonders nicht am Flughafen als sich die beiden vor den Augen ihres „Schääfs“, der sie operiert hatte, noch etwas wackelig, aber selbständig gehend auf den Weg zurück in ihre Heimat machten.

Es wurde um einiges ruhiger auf der Station. 

 

Acht Monate später starteten Dr. Helmut und Sohn Mark Schläfer Richtung Sanaa, der Hauptstadt des Jemens. Ein Besuch der beiden jemenitischen Mädchen war von beiden Familien durchaus erwünscht. Nach etwa 10 stündiger Reise in dieses streng islamische Land im Südosten der Arabischen Halbinsel erwartete beide ein überaus herzlicher Empfang. Beide Mädchen standen in schönen Kleidern mit Schleifchen in den Haaren direkt an der Absperrung zum Empfangsbereich. Nachdem beide umarmt und herzlich gedrückt worden waren ging die ´Empfangszeremonie´ weiter – beide Familien waren vollzählig erschienen, viele Cousins, Tanten, Onkel und Freunde waren zur Begrüßung an den Flughafen gekommen. Während es dort streng untersagt ist, den komplett schwarz verschleierten Frauen, die das ´Sharshaf´ tragen müssen, auch nur die Hand zu reichen, wird man als Mann von Männer umarmt und auch geküsst. Geschlafen habe beide im Luxor, einem Mittelklasse-Hotel, wobei ihnen auch angeboten wurde bei den Familien zu schlafen. Jeden morgen wurden sie von den Familien oder Freunden zu Ausflügen in und um Sanaa abgeholt. Ein Auto können sich beide Familien nicht leisten, da der Zusammenhalt unter den Arabern aber sehr groß ist, wurde von irgendwoher immer ein Auto organisiert. Dr. Helmut und Dr. Mark wurde versucht, jeden Wunsch von den Lippen abzulesen. Über die ´Buckelpisten von Sanaa´ (ungeteerte Straßen), aber auch geteerte Straßen fuhren sie zum Felsenpalast außerhalb der Hauptstadt, wo bis 1962 der König von Nordjemen lebte, in die faszinierende Altstadt von Sanaa, die UNESCO-Weltkulturerbe ist und das Prädikat ´aus 1001 Nacht´ verdient hat, oder in die Berge zum Städtchen Thula, welches noch um einiges höher liegt als das auf 2300m liegende Sanaa.

Die Gastfreundschaft war überwältigend, Vater und Sohn wurden sogar zum Kat-Kauen in jemenitischer Männerrunde mitgenommen. Kat ist eine Pflanze, die wenig Wasser benötigt und deren Blätter Amphetamine, ein Aufputschmittel, enthalten. Kat ist die jemenitische Volksdroge, weit über 90% der Männer kauen es täglich. 20% des Bruttoinlandsproduktes fällt auf den Konsum von Kat. Die dicken, Kat gefüllten Backen sieht man allerorten. Den jemenitischen Krummdolch am aufwendig verzierten Gürtel trägt jeder Mann, aber auch Jungs. Auf den Märkten herrscht reges Treiben, das Palaver und leidenschaftliche Handeln um den Preis gehören einfach dazu. Der Aufruf zum Gebet vom Minarette der Moschee durch den Muezzin fünf mal am Tag gehört ebenfalls dazu, es scheint nur nicht jeden zu interessieren. Als Deutscher wird man von den Jemeniten geliebt, Deutschland leistet große Arbeit bei der Aufbauhilfe – der Jemen gehört zu den 7 ärmsten Ländern der Erde. Viele der geteerten Straßen und große Teile des Flughafens sind durch Deutsche entstanden. Das technische Hilfswerk arbeitet an der Wasserversorgung. Es gibt ein hervorragend ausgestattetes German-Yemen-Hospital – allerdings fehlt es deutlich an gut ausgebildeten Ärzten. Selbst Jemeniten halten ihre Ärzte für nicht kompetent. Jeder der es sich leisten kann fliegt nach Jordanien oder Ägypten – oder nach Europa. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich welches Leid man dort sieht, vor allem auch bei Kindern. Frühkindlicher Hirnschaden durch zu wenig Sauerstoff unter der Geburt wurde gehäuft gesehen, verformte Knochen durch die Glasknochenkrankheit (Osteogenesis imperfecta), Spastiken und Lähmungen wurden gesehen, schwere Wirbelsäulenverbiegungen (Skoliose), untherapierter Morbus Parkinson usw. ebenfalls. Die Option auf ein künstliches Gelenk bei schwerer Arthrose hat dort niemand.

 

Bei beiden Familien fanden zuhause Festessen statt. Traditionell sitzt man auf dem Boden, Männer und Kinder essen zuerst, die Frauen essen die Reste. Fremder Besuch bekommt die Köchin nie zu sehen. Es wird traditionell immer mehr gekocht, als man essen kann, Hammerfleisch und Hammelsuppe gelten als Delikatesse. Unter den Speisen findet man selbstgebackenes Fladenbrot, vielfältiges Obst und Gemüse, Kartoffeln, Pommes frites, Nudeln, Fisch, eine traditionelle Vorspeise aus altem Brot mit saurer Sahne und saurer Milch, diverse Soßen zum Dippen, selbst gemachten Honigkuchen und und und.  Im Wohnzimmer findet man neben Matratzen und Polstern nur noch einen Fernseher. Obwohl die Verhältnisse sehr überschaubar sind im Jemen, machten Shada und Ferdows einen sehr, sehr glücklichen Eindruck im Kreise ihrer Familien, wo sie nunmal hingehören. Das schönste für die beiden Ärzte war allerdings, dass beide schmerzfrei weite Strecken gehen können. Bei Shada sieht man im Gehen überhaupt nicht mehr, dass sie operiert wurde, beim Sprinten ist sie ein wenig langsam, ein Mädchen eben. Ferdows sieht man die Änderung der Körperstatur noch immer an. Die Beweglichkeit ihrer Hüften hat im Vergleich zu Deutschland deutlich abgenommen, was an einer überhaupt nicht suffizienten Krankengymnastik im Jemen lag. Dies ist inzwischen geändert und nach zwei Sitzungen neuer Krankengymnastik ist die Beweglichkeit schon wieder besser geworden. Gute Krankengymnastik kostet auch im Jemen Geld. Geld ist aber noch da; jedem der Kinder wurden umgerechnet 1000Euro an Spendengeldern zukommen gelassen. Das restliche Geld liegt weiterhin auf dem

 

Spendenkonto: Shada und Ferdows, VR-Bank Rodalben, BLZ 542 617 00,

KTO-NR 100005037

BILDERGALERIE

 

Weitere Informationen zur Orthopädie unter www.orthopaedie-rodalben.de