Shada und Ferdows
Als Anfang 2005 Dr. Johannes, damals Assistenzarzt in
der Orthopädischen Abteilung des St. Elisabeth – Krankenhaus Rodalben,
Chefarzt Dr. Schläfer fragte, ob es möglich sei, Kinder aus Krisengebieten in
Rodalben zu behandeln, konnte niemand das Ausmaß erahnen. Der Kontakt zum
Hammer Forum, einer humanitären Hilfsorganisation für Kinder in Krisengebieten
dieser Erde, welche medizinische Hilfe vor Ort organisiert und schwere Fälle
nach Deutschland zur kostenfreien Behandlung vermittelt, war schnell
hergestellt. Verbrennungen, nicht verheilte Knochenbrüche, schwere Infektionen,
Verstümmelungen etc. sind an der Tagesordnung, Hüftfehlformen (Hüftdysplasien)
schon um einiges seltener. Dr. Schläfer willigte in die Behandlung eines Kindes
mit Hüftdysplasie ein. Hüftdysplasien sind ein gängiges orthopädisches
Krankheitsbild und werden regelmäßig in Rodalben behandelt.
So kamen im April 2005 die 3 ½ jährige Shada und 7 ½ jährige Ferdows
nach Rodalben in die Orthopädie mit der Diagnose ´Hüftdysplasie beidseits´.
Die dort angefertigten Röntgenaufnahmen zeigten das wahre Ausmaß – hohe Hüftluxationen
beidseits. Dr. Schläfer und sein Team stellten sich der großen
Herausforderung. Nach entsprechenden Vorbereitungen des Eingriffs, den man in
Deutschland nur noch aus den Lehrbüchern kennt, wurde ein Samstag als
Operationstag festgelegt. Ein großes Team aus freiwillig und unentgeltlich
arbeitenden Orthopäden, Anästhesisten und OP-Personal standen an diesem Tag
bereit. In zwei jeweils 4 ½ stündigen Eingriffen wurde jeweils eine Hüfte
operiert; dabei wurde das Becken durchtrennt, eine neue Hüftpfanne geformt, der
Hüftkopf eingestellt, die Gelenkkapsel verkürzt und plastisch genäht,
Muskelsehnen verkürzt und verlängert. Das Operationsergebnis wurde durch
Ruhigstellung im Abspreizgips gesichert. Wochen danach folgte die jeweils andere
Hüfte.
Die Hüften blieben über Monate in der
Abspreizstellung, zunächst im Gips und später durch spezielle Abspreizorthesen,
mit denen der Grad der Abspreizung verändert werden konnte. Im Anschluss wurden
die neuen Gelenke stufenweise mobilisiert. Tägliche krankengymnastische Übungen,
auch im Bewegungsbad, über Monate waren obligat, bevor mit den ersten
Gehversuchen begonnen werden konnte. Die Mädchen waren die meiste Zeit auf
fremde Hilfe angewiesen, konnten sich über viele Monate nicht alleine
fortbewegen. Ein Buggy oder Rollstuhl waren ständiger Wegbegleiter. Viel Freude
bereiteten die ersten eigenen Fortbewegungsmittel: Rutscherautos.
Es brauchte einige Zeit bis die beiden süßen
jemenitischen Mädchen den Kulturschock Deutschland, das Krankenhaus und die
Operationen verkraftet hatten. Die anfänglich so verschlossenen Kinder tauten
durch die viele liebevolle Fürsorge des Pflegepersonals und Freiwilligen außerhalb
der Klinik immer mehr auf. Sie lernten schnell die deutsche Sprache, (besser:
Rodalberisch) und wurden fester Bestandteil der Station O2. Ihr Zimmer (2.45)
war gefüllt mit unzähligen Kuscheltieren und Spielen. Bald schon waren Shada
und Ferdows bei jedem im Krankenhaus bekannt, bei vielen Patienten und über
Zeitungsartikel bei vielen im Landkreis. Ein Spendenkonto und ein Benefiz-Fußballtunier
(mit Traditionsmannschaften des 1.FC Kaiserslautern, FK Pirmasens, einer Auswahl
namhafter Politiker und dem Team der Orthopädie) brachten über 4000Euro ein,
Geld, das ausschließlich Shada und Ferdows zugute kommt. Regelmäßige
Telefonate nach Hause in den Jemen waren möglich, Ferdows nutze es regelmäßig,
Shada hatte die Arabische Sprache völlig vergessen oder verdrängt.
Um den beiden ihren Aufenthalt in Deutschland und ihr
Dasein im Krankenhaus so erträglich wie möglich zu machen und ihnen auch ein
Stück deutsche Kultur zu zeigen, wurden sie ab und an aus dem Krankenhaus für
kleinere Ausflüge ´entführt´. Eisdiele, Zoo und Schwimmbad lernten sie so
kennen, den St. Martinsumzug haben sie an der Straße vor dem Krankenhaus
erlebt, der Nikolaus kam zu ihnen ins Zimmer, Weihnachten verbrachten sie bei
Familie Schläfer, Silvester durften sie wach bleiben und Feuerwerk gucken,
Fastnacht wurden sie verkleidet, den Osterhasen, der die Ostereier bringt, haben
sie aber auch nicht gesehen.
Nach elf Monaten Krankenhaus, am 04.März 2006, hieß
es Abschied nehmen. Ferdows freute sich auf ihre Familie, sie hatte in der
Zwischenzeit ein Schwesterchen bekommen – Shada war Angst vor dem Ungewissen
anzumerken, die Erinnerung an ihre Familie und den Jemen war deutlich verblasst.
Keinem ist der Abschied leicht gefallen. Besonders nicht am Flughafen als sich
die beiden vor den Augen ihres „Schääfs“, der sie operiert hatte, noch
etwas wackelig, aber selbständig gehend auf den Weg zurück in ihre Heimat
machten.
Es wurde um einiges ruhiger auf der Station.
Acht Monate später starteten Dr. Helmut und Sohn
Mark Schläfer Richtung Sanaa, der Hauptstadt des Jemens. Ein Besuch der beiden
jemenitischen Mädchen war von beiden Familien durchaus erwünscht. Nach etwa 10
stündiger Reise in dieses streng islamische Land im Südosten der Arabischen
Halbinsel erwartete beide ein überaus herzlicher Empfang. Beide Mädchen
standen in schönen Kleidern mit Schleifchen in den Haaren direkt an der
Absperrung zum Empfangsbereich. Nachdem beide umarmt und herzlich gedrückt
worden waren ging die ´Empfangszeremonie´ weiter – beide Familien waren
vollzählig erschienen, viele Cousins, Tanten, Onkel und Freunde waren zur Begrüßung
an den Flughafen gekommen. Während es dort streng untersagt ist, den komplett
schwarz verschleierten Frauen, die das ´Sharshaf´ tragen müssen, auch nur die
Hand zu reichen, wird man als Mann von Männer umarmt und auch geküsst.
Geschlafen habe beide im Luxor, einem Mittelklasse-Hotel, wobei ihnen auch
angeboten wurde bei den Familien zu schlafen. Jeden morgen wurden sie von den
Familien oder Freunden zu Ausflügen in und um Sanaa abgeholt. Ein Auto können
sich beide Familien nicht leisten, da der Zusammenhalt unter den Arabern aber
sehr groß ist, wurde von irgendwoher immer ein Auto organisiert. Dr. Helmut und
Dr. Mark wurde versucht, jeden Wunsch von den Lippen abzulesen. Über die ´Buckelpisten
von Sanaa´ (ungeteerte Straßen), aber auch geteerte Straßen fuhren sie zum
Felsenpalast außerhalb der Hauptstadt, wo bis 1962 der König von Nordjemen
lebte, in die faszinierende Altstadt von Sanaa, die UNESCO-Weltkulturerbe ist
und das Prädikat ´aus 1001 Nacht´ verdient hat, oder in die Berge zum Städtchen
Thula, welches noch um einiges höher liegt als das auf 2300m liegende Sanaa.
Die Gastfreundschaft war überwältigend, Vater und
Sohn wurden sogar zum Kat-Kauen in jemenitischer Männerrunde mitgenommen. Kat
ist eine Pflanze, die wenig Wasser benötigt und deren Blätter Amphetamine, ein
Aufputschmittel, enthalten. Kat ist die jemenitische Volksdroge, weit über 90%
der Männer kauen es täglich. 20% des Bruttoinlandsproduktes fällt auf den
Konsum von Kat. Die dicken, Kat gefüllten Backen sieht man allerorten. Den
jemenitischen Krummdolch am aufwendig verzierten Gürtel trägt jeder Mann, aber
auch Jungs. Auf den Märkten herrscht reges Treiben, das Palaver und
leidenschaftliche Handeln um den Preis gehören einfach dazu. Der Aufruf zum
Gebet vom Minarette der Moschee durch den Muezzin fünf mal am Tag gehört
ebenfalls dazu, es scheint nur nicht jeden zu interessieren. Als Deutscher wird
man von den Jemeniten geliebt, Deutschland leistet große Arbeit bei der
Aufbauhilfe – der Jemen gehört zu den 7 ärmsten Ländern der Erde. Viele der
geteerten Straßen und große Teile des Flughafens sind durch Deutsche
entstanden. Das technische Hilfswerk arbeitet an der Wasserversorgung. Es gibt
ein hervorragend ausgestattetes German-Yemen-Hospital – allerdings fehlt es
deutlich an gut ausgebildeten Ärzten. Selbst Jemeniten halten ihre Ärzte für
nicht kompetent. Jeder der es sich leisten kann fliegt nach Jordanien oder Ägypten
– oder nach Europa. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich welches
Leid man dort sieht, vor allem auch bei Kindern. Frühkindlicher Hirnschaden
durch zu wenig Sauerstoff unter der Geburt wurde gehäuft gesehen, verformte
Knochen durch die Glasknochenkrankheit (Osteogenesis imperfecta), Spastiken und
Lähmungen wurden gesehen, schwere Wirbelsäulenverbiegungen (Skoliose),
untherapierter Morbus Parkinson usw. ebenfalls. Die Option auf ein künstliches
Gelenk bei schwerer Arthrose hat dort niemand.
Bei beiden Familien fanden zuhause Festessen statt.
Traditionell sitzt man auf dem Boden, Männer und Kinder essen zuerst, die
Frauen essen die Reste. Fremder Besuch bekommt die Köchin nie zu sehen. Es wird
traditionell immer mehr gekocht, als man essen kann, Hammerfleisch und
Hammelsuppe gelten als Delikatesse. Unter den Speisen findet man
selbstgebackenes Fladenbrot, vielfältiges Obst und Gemüse, Kartoffeln, Pommes
frites, Nudeln, Fisch, eine traditionelle Vorspeise aus altem Brot mit saurer
Sahne und saurer Milch, diverse Soßen zum Dippen, selbst gemachten Honigkuchen
und und und. Im Wohnzimmer findet
man neben Matratzen und Polstern nur noch einen Fernseher. Obwohl die Verhältnisse
sehr überschaubar sind im Jemen, machten Shada und Ferdows einen sehr, sehr glücklichen
Eindruck im Kreise ihrer Familien, wo sie nunmal hingehören. Das schönste für
die beiden Ärzte war allerdings, dass beide schmerzfrei weite Strecken gehen können.
Bei Shada sieht man im Gehen überhaupt nicht mehr, dass sie operiert wurde,
beim Sprinten ist sie ein wenig langsam, ein Mädchen eben. Ferdows sieht man
die Änderung der Körperstatur noch immer an. Die Beweglichkeit ihrer Hüften
hat im Vergleich zu Deutschland deutlich abgenommen, was an einer überhaupt
nicht suffizienten Krankengymnastik im Jemen lag. Dies ist inzwischen geändert
und nach zwei Sitzungen neuer Krankengymnastik ist die Beweglichkeit schon
wieder besser geworden. Gute Krankengymnastik kostet auch im Jemen Geld. Geld
ist aber noch da; jedem der Kinder wurden umgerechnet 1000Euro an Spendengeldern
zukommen gelassen. Das restliche Geld liegt weiterhin auf dem
Spendenkonto: Shada und Ferdows, VR-Bank Rodalben,
BLZ 542 617 00,
KTO-NR 100005037
Weitere Informationen zur Orthopädie unter www.orthopaedie-rodalben.de